Selbstverteidigung – ein Ansatz der Friedenspädagogik oder Gewaltanwendung?


Eine Annäherung aus der Sicht der Kampfkunst Aikido

Selbstverteidigung – was ist das? Handelt es sich um legitimen Selbstschutz? Um Notwehr? Einen Ansatz der Friedenspädagogik?

Oder versteckt sich dahinter eine Form der Gewalt? Wie die Aussage eines Jugendlichen, der regelmäßig in Schlägereien verwickelt ist, nahe legt. Er vermeidet rechtliche Konsequenzen, indem er nie zuerst zuschlägt, andere durch Provokation jedoch zielsicher zum Zuschlagen bewegt. Beim Zurückschlagen plädiert er auf Notwehr.

Viele Techniken diverser Kampfkünste sind überaus effektiv. In realen Situationen können ernsthafte Verletzungen, sogar tödliche Folgen eintreten. Auch dann, wenn die Absicht im Selbstschutz besteht.

Es lässt sich auch die Frage aufwerfen, ob eine „innere Gewaltbereitschaft“ auf einer meist unbewussten Ebene Gewalt anzieht und somit gefährliche Situationen inszeniert?
Oder ob eine Aggressionsproblematik – neben dem Wunsch, sich schützen zu können – Triebfeder für das Erlernen von Selbstverteidigungstechniken ist?

Diese Fragen formuliere ich ganz bewusst sehr provokant, auch in der Vermischung der Rollen von Täter und Opfer – denn potenziell sind wir immer beides.

Eine Grenzziehung ist jedoch sehr klar: es gibt einen großen Unterschied zwischen aggressiven Impulsen und Gefühlen einerseits und konkreter Gewaltanwendung durch Handlungen andererseits. Erst letzteres macht einen Menschen zum Gewalttäter und entsteht meist, weil dieser aggressive Gefühle nicht wahrnehmen und reflektieren kann.

Noch eine Grenzziehung ist ganz klar: bei einer Gewaltanwendung gibt es einen Täter auf der einen Seite und ein Opfer auf der anderen Seite. Dies ist besonders wichtig, da Täter sich oft als Opfer fühlen und die Übernahme von Verantwortung verweigern. Paradoxerweise werden sie in dieser Haltung häufig von ihren Opfern unterstützt, die sich schuldig fühlen und den Täter entlasten.

Das Verschwimmen klarer Grenzen bezieht sich also auf innere Dynamiken, Gefühle und Impulse. Die bewusste Auseinandersetzung mit der Innenwelt, nicht nur im anderen, sondern vor allem in uns selbst, ist eine entscheidende Frage.

Die japanische Kampfkunst Aikido gibt eine Antwort auf die aufgeworfenen Fragen. Aikido ist eine der effektivsten Kampfkünste, die sich bestens zur Selbstverteidigung eignet. Wesentlich ist die innere Haltung, mit der geübt wird. Ziel ist es, sich selbst zu schützen und den „Angreifer“ von seiner gewaltsamen Absicht abzubringen, jedoch ohne ihn dabei zu verletzen. Es gibt weder Gewinner noch Verlierer und daher keinen Wettkampf.

So gesehen ist Aikido ein geniales Konfliktmanagement bzw. wie für den Begründer dieser Schule – Morihei Ueshiba (1883 – 1969) eine Methode, Frieden in die Welt zu bringen. Dabei beginnt der Übende in seinem Herzen.

Es erfolgt also eine klare Abgrenzung zur Gewaltanwendung durch die innere Haltung. Die beständige Übung dieser Kunst hilft, eine große Kraft zu entwickeln. Aber auch eine große Sensibilität, Grenzen des anderen zu erspüren und nicht zu verletzen. Trotzdem können im Ernstfall Verletzungen nicht ausgeschlossen werden.

Selbstverteidigung beginnt jedoch lange, bevor es zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommt!

Kern ist die Entwicklung einer geistig-seelisch-körperlichen Haltung, die verhindert, uns zu Opfern, aber auch zu Tätern zu machen. Es geht um ein geistig-seelisches Aikido.

Geistig-seelische Fähigkeiten, die eine Opferhaltung verhindern, sind u.a.:

  • Schulung der Wahrnehmung: gefährliche Situationen rechtzeitig erkennen und ausweichen können
  • Vertrauen in die Intuition: Bestärkung, dem Bauchgefühl zu vertrauen und danach zu handeln
  • Eigene Grenzen wahrnehmen und setzen: Nein-Sagen
  • Aufrechte und präsente Haltung: signalisiert potenziellen Gewalttätern „Ich bin nicht als Opfer geeignet!“
  • Schulung der Beweglichkeit: Handlungsspielraum in schwierigen Situationen behalten (Keine Lähmung!)

Vor allem die Auseinandersetzung mit eigenen Aggressionen ist notwendig, um Täterschaft zu verhindern. Die meisten Menschen erleben mangels positiver Modelle ein scheinbar unlösbares Dilemma zwischen Verzicht auf Aggression und damit einer wesentlichen Kraftquelle zur Gestaltung des eigenen Lebens und Gewaltanwendung.

In meiner Arbeit gehe ich von einem positiven Aggressionsbegriff aus. Aggression ist eine Form der Energie, ohne die Leben nicht möglich ist.
Wichtig ist, aggressive Gefühle nicht zu verdrängen, sondern zu bejahen, als eine Form der Energie (Bauch), die man mit der Liebe (Herz) verbinden kann. Vom Herz lässt sich dann gut mit den Menschen kommunizieren – kräftig und liebevoll (herzliche Aggression – Ildikó Haring).

Ein weiteres Ziel meiner Arbeit ist die Stärkung der Geschlechtsidentität. Bei Frauen und Mädchen liegt der Fokus dabei auf dem Erleben und Vertrauen in die eigene Kraft . Männer und Burschen können unmittelbar erleben, dass Nachgiebigkeit stärker macht und kein Zeichen von Schwäche ist.

Ute Schwarzmayr: Friedenspädagogik oder Gewaltanwendung? – Eine Annäherung an den Begriff Selbstverteidigung aus der Sicht der Kampfkunst Aikido“
in: Kranich, Zeitung des Salzburger Friedensbüros, Nr. 03/2007